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Schützen Heranwachsende ihre Privatsphäre bei mobiler Kommunikation? von Maximilian Wegner ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.

 

 

 

 

Schützen Heranwachsende ihre Privatsphäre bei mobiler Kommunikation?

Do adolescents protect their privacy in mobile communication?

 

Autor: Maximilian Wegner
(veröffentlicht im Dezember 2013 als Bachelorarbeit im Fach Psychologie)

 

 

 


Inhalt

 

Zusammenfassung  0

1. Einleitung  0

2. Theorie  0

2.1 Stand der Forschung  0

2.2 Entwicklungsmodell 0

2.3 Fragestellung  0

3. Methode  0

3.1 Stichprobe und Design  0

3.2 Versuchsmaterial 0

3.3 Ablauf 0

4. Ergebnisse  0

4.1 Umfrage unter Heranwachsenden  0

4.2 Vergleich mit Studentinnen  0

5. Diskussion  0

6. Literatur  0

Anhang   

Anhang A: Reporting / Daten aus der Studentinnen-Umfrage   

Anhang B: Schülerinnen-Fragebogen   

Anhang C: Anschreiben Schulleitung   

Anhang D: Anschreiben Lehrerinnen   

Anhang E: Anschreiben Eltern   

 

 

Zusammenfassung

In dieser Bachelorarbeit wird untersucht, ob Kinder im Alter von zehn bis zwölf Jahren bereits ein Bewusstsein für die eigene Privatsphäre während Handygesprächen zeigen und wie wichtig ihnen das Mobilgerät im Alltag erscheint. Hierzu wird die Entwicklungstheorie Piagets herangezogen und anhand einer empirischen Studie nachgewiesen, dass sich die Kinder bereits im Anfangsstadium der formal-operativen Phase befinden. Im Vergleich mit jungen Erwachsenen zeigt sich jedoch, dass diese ein höheres Bewusstsein bezüglich der eigenen Privatsphäre zeigen und die Entwicklung nach Piagets Modell bei den Kindern entsprechend nicht abgeschlossen ist. Interessante Erkenntnisse ergeben sich auch aus der Beobachtung, dass die Kinder dem Handy einen hohen emotionalen Wert zuschreiben.

 

Markenrechtliche Hinweise

Die in dieser Arbeit genannten Marken- und Warenzeichen sind Eigentum der jeweiligen Inhaber und dienen lediglich zur Identifikation und Beschreibung der Produkte und Dienstleistungen.

 

„Comic Sans“ ist eine eingetragene Marke der Microsoft Corporation

„Facebook“ und „Facebook Messenger“ sind eingetragene Marken von Facebook, Inc.

„iPhone“ ist eine eingetragene Marke von Apple Inc.

„Micky Maus“ ist eine eingetragene Marke von Disney Enterprises, Inc.

„Samsung Galaxy S3 mini“ ist eine eingetragene Marke der Samsung Electronics Co. Ltd.

 Viber“ ist eine eingetragene Marke von Viber Media, Inc.

 „WhatsApp“ ist eine eingetragene Marke von WhatsApp, Inc.


1. Einleitung

Die mobile Kommunikation hat in den letzten Jahren stark an Bedeutung gewonnen. War das Mobiltelefon – oder neudeutsch „Handy“ – in den späten 1990er Jahren noch ein teures Utensil hauptsächlich für vielreisende Geschäftsleute, ist ein Leben ohne Mobiltelefon für viele Menschen heute undenkbar geworden. Im Jahr 2012 besitzen rund 98% aller Haushalte ein Handy oder Smartphone (Behrens & Rathgeb, 2012, S. 6). Das Handy zieht damit zwangsläufig auch in die deutschen Kinder- und Jugendzimmer ein.

Während mobile Endgeräte von vielen Eltern noch immer kritisch beäugt werden, hat das Mobiltelefon seinen Siegeszug bei den Kindern und Jugendlichen längst angetreten: Mobiles Internet und die damit verbundenen Instant Messenger wie beispielsweise WhatsApp, Viber oder Facebook Messenger ermöglichen eine schnelle Kontaktaufnahme mit den eigenen Peers und tragen damit zu einer Stärkung und Beschleunigung der Kommunikation im sozialen Umfeld bei (Tully & Zerle, 2006, S. 17). Dabei löst die Kommunikation über das Handy keineswegs die direkte Face-to-Face-Kommunikation ab, sondern unterstützt diese passiv, beispielsweise durch das Ermöglichen spontaner Treffen oder Vereinfachung der Terminfindung durch Gruppenkommunikation bei mehreren Teilnehmern.   

 

Doch inwiefern sind sich Schülerinnen[1] der Tatsache bewusst, dass sie mit jedem Telefonat in der Öffentlichkeit auch andere an ihren Gesprächen teilhaben lassen? Immer wieder dringen umstehende Personen unbeabsichtigt in die Privatsphäre des Telefonierenden ein, indem sie Inhalte hören, deren eigentlicher Empfänger am anderen Ende der Leitung sitzt. Eine inhaltliche Filterung nach „Dos and Don’ts“ erscheint somit nur angemessen.

Die Frage nach der Privatsphäre bei mobiler Kommunikation beschäftigt die psychologische Forschung freilich nicht nur in Bezug auf Kinder und Jugendliche. Eine kürzlich durchgeführte Studie der Studiengruppe „Digitale Nabelschnur“ an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz zu diesem Thema mit dem Titel „Handynutzung: Balanceakt zwischen Privatsphäre und sozialer Einbindung“ möchte herausfinden, ob Studierende verschiedener Länder ein Bewusstsein für die eigene Privatsphäre entwickelt haben. Parallel zu dieser Fragestellung wird diese Bachelorarbeit den Umgang mit Privatsphäre während mobiler Kommunikation durch Kindern im Alter von 10-12 Jahren untersuchen.

2. Theorie

2.1 Stand der Forschung

In Bezug auf mobile Kommunikation unter Schülern wurde von der Forschung bisher hauptsächlich die Art der Nutzung untersucht. Hierbei zeigten sich Tendenzen, dass für viele Schülerinnen das Handy als eine Art Übergangsobjekt einen symbolischen Stellenwert hat (Tully & Zerle, 2006, S. 18). Es bietet vor allem Jugendlichen ein Freiheitsgefühl und eine Entziehung aus der elterlichen Kontrolle, die aus der Ferne per Mobiltelefon stattfinden kann. 

Die Nutzung des Mobiltelefons durch Jugendliche ist vielfältiger Natur (Behrens & Rathgeb, 2012, S. 55f). Neben der Kommunikation mit Freunden und Bekannten wird das Handy von Jugendlichen heute hauptsächlich zum Surfen im Internet und den schnellen Informationsabruf unterwegs genutzt. Diese Nutzungsweise wird durch die zunehmende Verbreitung von Smartphones auch unter Jugendlichen unterstützt und beschleunigt. Die neuere Forschung untersuchte hierbei auch problematische Handynutzung, etwa den Austausch von Gewaltvideos und Pornografie (vgl. Schell, 2006, S. 36ff).

 

Weitestgehend unbeleuchtet bleibt in der Forschung die Frage nach dem „Privatsphäremanagement“: Handynutzung im öffentlichen Raum bedeutet auch immer einen Kompromiss zwischen intimer Kommunikation mit dem Gegenüber und öffentlicher Kommunikation mit dem Umfeld. Konkret muss ein Teilnehmer mobiler Kommunikation also immer abwägen, ob das aktuelle Gesprächsthema dem Umfeld angemessen ist und mit eventuellen Zuhörern geteilt werden kann oder ob es sich um ein Thema handelt, das für Umstehende und zufällige Mithörer tabu ist.

In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob Jugendliche[2] – von denen heute bereits 96% über ein Mobilfunkgerät verfügen (Behrens & Rathgeb, 2012, S. 52) – sich aufgrund der altersbedingten Entwicklung über die eigene Privatsphäre bewusst sind.

Einen interessanten Ansatz bietet hier die kognitive Entwicklungstheorie von Piaget.

 

2.2 Entwicklungsmodell

Die von Jean Piaget zur Mitte des 20. Jahrhunderts aufgestellte Entwicklungstheorie zur Entwicklung kognitiver Strukturen gilt heute in der Wissenschaft zwar als zu stark vereinfachte Darstellung der kognitiven Entwicklung eines Kindes, die Stufen der Entwicklung aber grundlegend als anerkannt (Berk, 2011, S. 309f.).

 

Konkret sind nach dem Modell Piagets bei Kindern vier Entwicklungsstufen nachvollziehbar. Diese sind

1.      die senso-motorische Stufe,

2.      die prä-operatorische Stufe,

3.      die konkret-operatorische Stufe und schlussendlich

4.      die formal-operative Stufe (Garz, 2008, S. 68).

Diese Stufen können wiederum in einzelne Stadien unterteilt werden, auf die in dieser Bachelorarbeit nicht weiter eingegangen werden können und für die der Bachelorarbeit zu Grunde liegenden Forschungsfragen unerheblich sind.

 

Die senso-motorische Stufe beschreibt die beiden ersten Lebensjahre eines Kindes und zeichnet sich durch die Entwicklung hin zum Kennenlernen und Interagieren mit der Umwelt aus. In dieser Stufe ist das Kind allerdings darauf angewiesen, die eigenen Handlungsvorstellungen direkt durch praktisches Ausführen umzusetzen, um das Handeln zu verstehen. In der prä-operatorischen Stufe, die etwa das dritte bis achte Lebensjahr umfasst, beginnt das Kind die Handlung nicht mehr nur als einübendes Spiel einzusetzen, sondern fiktive Situationen zu erschaffen und zu erkunden, wie mit diesen Situationen umgegangen werden kann. Damit wird auch der Prozess der Dezentrierung, der für die kognitive Entwicklung bezeichnend ist, fortgeführt. Entsprechend setzt das Kind nun Sprache ein und kann Handlungen auch abseits der konkreten Situation kommentieren. In der konkret-operativen Stufe kann das Kind  nun sogenannte „Konservierungsaufgaben“ (Berk, 2011, S. 305) erfüllen, also beispielsweise erkennen, dass sich die Flüssigkeitsmenge durch das Umfüllen von Flüssigkeit in ein anderes Gefäß nicht verändert. Das Kind löst sich nun von der Handlung an sich und bezieht sich konkret auf die mit der Handlung verknüpften Gegenstände. Die formal-operative Stufe zeichnet sich schlussendlich dadurch aus, dass das Kind nun hypothetische Denkprozesse zum Verlauf und Ausgang von Handlungen anstoßen kann, ohne diese konkret auszuführen (Garz, 2008, S. 77ff.).

2.3 Fragestellung

Legt man der Kommunikation mit dem Mobiltelefon durch Kinder und Jugendliche das Entwicklungsmodell Piagets zu Grunde, müsste daraus die Erkenntnis folgen, dass Heranwachsende im Alter von zehn bis zwölf Jahren mindestens Ansätze der formal-operativen Stufe zeigen (Ginsburg & Opper, 2004, S. 233f.). Konkret erkennbar wären diese Ansätze durch das eigene Bewusstsein bezüglich der Privatsphäre bei mobiler Kommunikation und möglicher Verletzungen dieser z.B. durch Umstehende, wenn die Heranwachsenden auf diese Problematik angesprochen werden. Dabei müssten sie in der Lage sein, Inhalte festzulegen, welche zu Konflikten mit der Privatsphäre führen könnten.

 

Forschungsfrage 1

Zeigen Heranwachende auf Privatsphäre bei mobiler Kommunikation angesprochen ein Bewusstsein für Inhalte und Verhaltensweisen, die einen Konflikt mit der eigenen Privatsphäre verursachen könnten?

 

Mittels einer Umfrage wird dabei nicht nur deutlich, ob sich die Heranwachsenden mit dem Thema beschäftigt haben oder dazu entwicklungsbedingt überhaupt fähig sind, sondern auch wie stark dieses Thema im Kommunikationsverhalten der Heranwachsenden eine Rolle spielt. 

 

Forschungsfrage 2

Achten Heranwachsende bei mobiler Kommunikation auf ihre Privatsphäre?

 

Die kognitive Entwicklung ist im Alter von zehn bis zwölf Jahren noch nicht abgeschlossen und weiteren sozialen Lernprozessen unterworfen (Ginsburg & Opper, 2004, S.233, 313). Daher müsste im direkten Vergleich bei Studentinnen ein stärkeres Bewusstsein bezüglich der Privatsphäre am Handy vorhanden sein. Sichtbar wird dies folglich in einer stärkeren selbstreflexiven Wahrnehmung des eigenen Privatsphäremanagements und auch in den Handlungsweisen während mobiler Kommunikation, beispielsweise um die eigene Privatsphäre zu sichern.

 

Forschungsfrage 3

Inwiefern unterscheiden sich Heranwachsende in der Wahrung und Wahrnehmung der eigenen Privatsphäre bei mobiler Kommunikation im Vergleich zu Studentinnen?

 

Aufgrund des technischen Fortschrittes ist davon auszugehen, dass Heranwachsende heute bereits in jüngerem Alter ein mobiles Endgerät erhalten als die Studentinnen. Es stellt sich die Frage, ob das Handy im Alltag daher bei Heranwachsenden eine größere Bedeutung hat als bei Studentinnen.

Forschungsfrage 4

Spielt das Handy im Alltag der Heranwachsenden eine größere Rolle als bei Studentinnen?

 

Anhand dieser Forschungsfragen lassen sich vier Hypothesen ableiten, welche im Folgenden durch eine empirische Studie untersucht werden:

 

Hypothese 1

Heranwachsende können auch abseits stattfindender mobiler Kommunikation entscheiden, welche Themen sie aufgrund möglicher Verletzungen der Privatsphäre durch Umstehende vermeiden möchten.

 

Hypothese 2

Bei mobiler Kommunikation nutzen Heranwachsende bereits Handlungsweisen, um ihre Privatsphäre zu schützen.[3]

 

Hypothese 3

Das Bewusstsein in Bezug auf die eigene Privatsphäre bei Handygesprächen ist bei Studentinnen höher als bei Heranwachsenden.

 

Hypothese 4

Heranwachsende weisen dem Mobiltelefon eine wichtigere Rolle im Alltag zu als Studentinnen.

 


3. Methode

3.1 Stichprobe und Design

Die Heranwachsenden der Altersgruppe zehn bis zwölf Jahren befinden sich üblicherweise in der Orientierungsstufe einer weiterführenden Schule. Mit der Orientierungsstufe beginnt für die meisten Schülerinnen ein neuer schulischer Abschnitt, der mit dem Wechsel der Schule verbunden ist. In dieser Zeit erhalten die Kinder oftmals von den Eltern ein Handy, da beispielsweise räumliche Distanz der Schule zum Wohnort zu einem größeren Kommunikationswunsch führt.

 

Die Verteilung des Fragebogens erfolgte in zwei fünften und einer sechsten Klasse eines Gymnasiums[4]. Aufgrund der Struktur der Schule wird auch die Struktur der Teilnehmerinnen stark vorgegeben: Es handelt sich bei dem Gymnasium um eine reine Jungenschule, sodass es sich bei den Befragten nur um Jungen handelt. Da es sich bei der Schule um eine staatlich anerkannte Privatschule der katholischen Kirche handelt, ist davon auszugehen, dass viele Kinder aus sozial privilegierten Haushalten stammen.

 

Vor der Durchführung der Umfrage unter den Kindern wurden nach Absprache mit der Schulleitung auch die Eltern der Kinder informiert. Die Lehrkräfte wurden durch ein ähnliches Anschreiben über den Sinn und Zweck der Datenerhebung aufgeklärt.

 

Die von den Heranwachsenden erhobenen Daten sollen zusätzlich mit den Daten vergleichen werden, die von Studentinnen erhoben wurden. Hierzu wurden von der Studiengruppe „Digitale Nabelschnur“ deutsche Studenten in einem größeren Projekt auch zum Thema Handynutzung befragt. Hierbei handelte es sich um eine offene Online-Befragung, bei der insgesamt 78 Studentinnen befragt wurden.

 

3.2 Versuchsmaterial

Die derzeitige Forschungslage bietet kein bereits erprobtes und eingesetztes Versuchsmaterial, das zum Gewinn von Daten bei Heranwachsenden eingesetzt werden kann. Daher wurde ein kurz gehaltener Fragebogen[5] mit insgesamt sechzehn Fragen mit vorgegebenen Antwortmöglichkeiten entwickelt, der auf einer Doppelseite im A4 Format ausgeteilt wurde. Die Fragen orientieren sich an den Fragen der Studiengruppe „Digitale Nabelschnur“ und wurden entsprechend kindgerecht umformuliert.[6] Zur besseren Vergleichbarkeit nutzen beiden Fragebögen gleiche Fragenamen bzw. Variablenbezeichnungen. Diese werden im Folgenden in eckigen Klammern angegeben.

Zum Zweck der Erhebung demografischer Daten wurden von den Teilnehmerinnen lediglich das eigene Alter [D 1] und Geschlecht [D 2] abgefragt. Da es sich bei der Stichprobe um ausschließlich männliche Teilnehmer handelt, fungiert die Frage [D 2] nach dem Geschlecht zusätzlich als Kontrollfrage.

 

Im Folgenden werden nun die Fragen und möglichen Antworten in der Reihenfolge aufgelistet, in welcher sie den Schülerinnen auf dem Fragebogen vorlagen:

 

[GML 1]     Hast du ein eigenes Handy (Ja/Nein)

[GML 2]     Wie alt warst du, als du dein erstes Handy bekommen hast? (Zahl)

[GML 3]     Wie wichtig ist dir dein Handy im Alltag? (Sehr wichtig/Schon wichtig/Geht so/Überhaupt nicht) 

[GML 6]     Wenn du mit deinem Handy telefonierst, achtest du auf die Leute um dich herum? (Nie/Ab und zu/Manchmal/Oft/Immer)

[GMB 15] Wie oft achtest du auf die Reaktion von Leuten um dich herum, wenn du ans Handy gehst? (Nie/Ab und zu/Manchmal/Oft/Immer)

[GMB 18] Gibt es Dinge, die du nicht am Handy besprechen würdest? (Ja/Nein)

                   [GMB 18a-e] Wenn du mit ja geantwortet hast: Was wären denn solche Dinge? (Freundschaften (Streit, Gerüchte, ...)/ Taschengeld, Sachen ausleihen, usw./Krankheiten/Familiensachen)

[GMB 16]  Wie stark nimmst du Leute um dich herum wahr, wenn du mit dem Handy telefonierst? (Sehr stark/Schon stark/Geht so/Nicht wirklich stark/Überhaupt nicht)

[TEXT]      Manchmal möchtest du vielleicht Sachen am Handy besprechen, die andere nicht mitbekommen sollen. Was würdest du machen, um den Leuten um dich herum zu zeigen, dass du in Ruhe telefonieren willst?

[GMB 19]  Weggehen und einen ruhigen Platz suchen (Nie/Ab und zu/Manchmal/Oft/Immer)

[GMB 20]  Dich umdrehen, von den Leuten weg drehen (Nie/Ab und zu/Manchmal/Oft/Immer)

[GMB 21]  Leiser sprechen (Nie/Ab und zu/Manchmal/Oft/Immer)

[GMB 22]  Deinem Anrufer sagen, dass du später zurück rufst (Nie/Ab und zu/Manchmal/Oft/Immer)

[GMB 23]  Mit der Handy über dem Mund oder Handy telefonieren (Nie/Ab und zu/Manchmal/Oft/Immer)

[GMB 24]  Den anderen irgendwie zeigen, dass du gleich mit dem Telefonieren fertig bist (Nie/Ab und zu/Manchmal/Oft/Immer)

[GMB 25]  Auflegen und deinem Anrufer eine SMS/Whatsapp/... schicken (Nie/Ab und zu/Manchmal/Oft/Immer)

[D 1]           Wie alt bist du? (Zahl)

[D 2]           Und bist du ein Junge oder ein Mädchen? (Junge/Mädchen)

 

Um das Interesse der Schülerinnen zu wecken wurde im Kopf des Fragebogens eine Cartoon-Figur in Form eines Handys genutzt, die der bekannten Kunstfigur „Micky Maus“ ähnlich sieht. Zusätzlich wurde im kompletten Fragebogen die Schriftart „Comic Sans“ in einer großen Schriftgröße gewählt, um den Kindern den Text des Fragebogens auch optisch schmackhaft zu machen.

 

Einleitend wurde den Kindern erklärt, warum die Daten erhoben werden und dass der Fragebogen kein Bestandteil des (womöglich bewerteten) Unterrichts ist. Der Bezug zum Thema „Privatsphäre“ wurde allerdings bewusst vermieden, um die Kinder nicht bereits vor Beantwortung der Fragen zu beeinflussen:

 

Mein Name ist Max und ich habe ein paar Fragen zum Thema „Handy“ an dich. Das Beantworten geht ganz schnell und hilft mir dabei herauszufinden, wie Kids in deinem Alter ihre Handys benutzen. Keine Angst, diese Fragen gehören nicht zum Unterricht, es gibt keine Noten oder so etwas.

Es gibt kein „richtig“ oder „falsch“ – das ist ja auch kein Test oder keine Arbeit. Es geht mir nur darum herauszufinden, wie du dich fühlst. Also, einfach ankreuzen was am besten zu dir passt! [7]

 

Durch das Beantworten des Fragebogens geben die Teilnehmerinnen eine selbstreflexive Beurteilung des eigenen Telefonierverhaltens ab. Da diese von der eigenen Wahrnehmung beeinflusst ist, zeichnen die Teilnehmer vermutlich ein „Idealbild“ des eigenen Verhaltens. Doch selbst wenn sich dieses nicht im eigenen Verhalten widerspiegelt, kann doch die grundlegende Haltung in Bezug auf den Umgang mit dem eigenen Handy ermittelt werden.

 

Zusätzlich zu dem entwickelten Fragebogen wurden zum anschließenden Vergleich der Ergebnisse einzelne Fragen und deren Daten aus dem digitalen Fragebogen der Studiengruppe „Digitale Nabelschnur“ herausgenommen.[8] Dieser Fragebogen wurde von einer internationalen Forschungsgruppe entwickelt und von der Studiengruppe ins Deutsche übersetzt.

 

3.3 Ablauf

Der Fragebogen wurde von den Schülerinnen zu Beginn der Unterrichtsstunde ausgefüllt. Das Austeilen und Einsammeln der Fragebögen erfolgte durch die Lehrkraft, welche die gesammelten Ergebnisse dann der Schulleitung übergab. Für die Beantwortung des Fragebogens hatten die Kinder ungefähr 5 Minuten Zeit.

 


4. Ergebnisse

4.1 Umfrage unter Heranwachsenden

Im Folgenden werden die Ergebnisse der Umfrage dargestellt, die im Oktober 2013 durchgeführt wurde. Bei nötigen Rundungen wurde auf zwei Nachkommastellen gerundet. Die unformatierten Daten aus den einzelnen Umfragebögen und Gesamtwerte sind auf einer CD-ROM im Anhang dieser Bachelorarbeit verfügbar.

 

Insgesamt haben von den drei befragten Klassen 77 Schülerinnen den Fragebogen ordnungsgemäß ausgefüllt und abgegeben. Die Kontrollfrage [D 2] beantworteten alle Schülerinnen korrekt mit „Junge“.

 

Abbildung 1

 

Wie anhand der Erkenntnisse aus der JIM-Studie 2012 zu erwarten war besitzen nahezu alle befragten Kinder ein Mobiltelefon (Abbildung 1). Lediglich fünf der 77 befragten Teilnehmerinnen besaßen kein eigenes Handy. Dass dieser prozentuale Anteil der „handylosen“ Teilnehmerinnen vergleichsweise höher liegt als bei der JIM-Studie 2012 ist durch die Zusammensetzung der Gruppe der Befragten erklärbar. Während die JIM-Studie Jugendliche im Alter von zehn bis neunzehn Jahren befragt wurden in dieser Umfrage nur Heranwachsende von zehn bis zwölf Jahren befragt.

 

Abbildung 2

Durchschnittlich waren die Kinder 8.42 Jahre alt, als sie ihr erstes Handy erhalten haben (Abbildung 2). Auch wenn es einzelne Extremwerte gibt, erwerben Kinder ihr erstes Mobiltelefon im Alter von acht bis zehn Jahren.

Anhand der Tatsache, dass die befragten Personen durchschnittlich selbst erst 10.97 Jahre alt waren (Abbildung 3) überrascht die Tatsache, dass viele Schülerinnen das Handy dementsprechend noch nicht lange besitzen.

 

Abbildung 3

 

Dass die Heranwachsenden trotz der vergleichsweise kurzen Zeit der Nutzung des eigenen Geräts bereits eine starke Bindung an das Mobiltelefon aufgebaut haben, lässt sich anhand der Ergebnisse zu [GML 3] (Abbildung 4) erkennen.

 

Abbildung 4

 

Insgesamt 62.5% der Teilnehmerinnen betrachten das eigene Handy mindestens als „schon wichtig“ für den eigenen Alltag. Nur ein sehr geringer Anteil misst dem Handy überhaupt keine Bedeutung für das eigene alltägliche Leben zu (5.56%).

 

Abbildung 5

Abbildung 6

Abbildung 7

 

Nach der Wahrnehmung von Personen im Umkreis gefragt unterscheiden sich die Einschätzungen der Befragten in Bezug auf die Wahrnehmung während des Telefonats einerseits und der Reaktionen dieser Personen bei Annahme des Gesprächs andererseits. Diese aktiven Reaktionen werden wesentlich weniger häufiger berücksichtigt, als die passive Anwesenheit von Personen während des Gesprächs, wie Abbildungen 5 und 6 zeigen. Dies überrascht nicht, wenn man davon ausgeht, dass eine Rufannahme im Normalfall rasch während eines gewissen Zeitraums (das „Klingeln“) geschehen muss und mitunter auch eine gewisse Stresssituation durch akustische Signale erzeugt. Die Vermutung liegt nahe, dass die Heranwachsenden die umstehenden Personen erst während des Gesprächs zunehmender wahrnehmen.

 

Diese Vermutung wird durch die Ergebnisse in Abbildung 7 bestätigt: Kein Befragter gab an, dass er die Personen um ihn herum während eines Handygesprächs gar nicht wahrnimmt, auch wenn er diese nicht unbedingt aktiv beachtet. Die Heranwachsenden sind sich also durchaus bewusst, dass umstehende Personen – praktisch „physikalisch“ – anwesend sind.

 

Der Großteil der Befragten zieht eine gedankliche Grenze bei den Inhalten, die sie am mobilen Telefon besprechen möchten. Nur 22 Teilnehmerinnen sagten aus, dass sie alle Themen am Handy besprechen würden, während 55 Teilnehmerinnen klare Vorstellungen von „Tabu-Themen“ haben (Abbildung 8). Dabei antworteten auch Teilnehmerinnen, die über kein Handy verfügten. Diese Themen konnten von den Heranwachsenden auch konkret benannt werden: Jeder Befragte, der in [GMB 18] mit „Ja“ antwortete, machte bei der darauffolgenden Frage nach konkreten Themen (Abbildung 9) mindestens eine Angabe; eine Mehrfachnennung war möglich.

Abbildung 8                                                                 Abbildung 9

 

Dabei wurden Gespräche, die Familienangelegenheiten betreffen, am häufigsten vermieden. Mit deutlichem Abstand folgten Themen rund um Freund- und Bekanntschaften. Offensichtlich sind Gespräche, die soziale Netze und zwischenmenschliche Konstrukte betreffen, eher vertraulich als Gespräche, die sich um materielle Fragen drehen. Letztere wurden am wenigsten häufig genannt.

 

In Bezug auf die in 2.3 definierte Hypothese 1 lässt sich zudem feststellen, dass Heranwachsende durchaus in der Lage sind, mögliche vermeidenswerte Gesprächsthemen außerhalb der konkreten Kommunikationssituation zu erdenken und beurteilen. Die Hypothese wird also durch die Selbsterkenntnis, dass es vermeidenswerte Themen an sich gibt, einerseits und durch die konkrete Benennung dieser andererseits, bestätigt.

 

Erkenntnisse darüber, inwiefern Heranwachsende die Personen in ihrer Umgebung während einem Handytelefonat wahrnehmen, liefert auch die Frage, wie sich die Befragten konkret verhalten, wenn sie einen Anruf erhalten und die fraglichen Themen bewusst nicht im Beisein anderer Personen besprechen möchten (Abbildung 10).

 

Sehr deutlich gaben die Befragten an, nie mit der Hand über dem Mund oder Handy zu telefonieren, um das Gespräch sowohl symbolisch als auch akustisch von den Umstehenden abzuschirmen. Auch wenn die Befragten durchaus alle anderen Optionen nutzen, scheint es, dass eine räumliche Distanz zu suchen die bevorzugte Lösung ist.

Symbolische Handlungen, welche die umstehenden Personen mitbekommen und sich dadurch womöglich Störenfriede missverstehen können (beispielsweise mit der Hand über dem Mund telefonieren oder wegdrehen), werden von den Heranwachsenden vermieden. Leiser sprechen oder den Umstehenden zu signalisieren, dass das Telefonat in Kürze beendet sein wird, sind entsprechend Möglichkeiten, die der Großteil der Befragten durchaus gelegentlich nutzen, aber trotzdem nur von wenigen regelmäßig oder gar ständig angewandt werden.

 

Abbildung 10

 

Diese Ergebnisse zeigen, dass Heranwachsende aus dem Bewusstsein um die eigene Privatsphäre durchaus Handlungsweisen anwenden, um diese zu schützen. Somit kann Hypothese 2 bestätigt werden. Diese Handlungsweisen sind jedoch nicht besonders stark ausgeprägt und oftmals greifen die Heranwachsenden eher darauf zurück den Anruf rasch zu beenden oder diesen zeitlich und räumlich zu verschieben, indem sie beispielsweise den Raum wechseln oder den Anrufer auf einen Rückruf vertrösten.

 

Erwähnenswert ist auch, dass die Kinder den Fragebogen teilweise mit zusätzlichen Informationen oder Zeichnungen beschrifteten, obwohl grundsätzlich nur Multiple-Choice-Fragen oder das Eintragen von Zahlen gefragt waren. Überwiegend wurden hierbei mit plakativen Sprüchen wie „iPhone for ever“ oder durch regelrechte Anschreiben („Ich habe ein Samsung Galaxy S3 Mini!!!“) das eigene Handymodell oder die Herstellermarke mitgeteilt. Eher seltener gab es Sympathiebekundungen, beispielsweise „Viel Glück bei deiner Umfrage!“, oder zusätzliche Angaben, wie dem Geburtstag statt dem Alter in [D 1], die gar nicht gefragt waren.

Dieses Verhalten zeigt, dass Heranwachsende eine starke, persönliche Bindung an das Mobiltelefon aufweisen und ein regelrechtes Markenbewusstsein zeigen. Die von Tully und Zerle (2006, S. 18). aufgestellte Aussage, dass Jugendliche das Handy als eine Art Übergangsobjekt ansehen, lässt sich in dem Alter der befragten Schülerinnen also nicht von der Hand weisen.

 

4.2 Vergleich mit Studentinnen

Im Sommer 2013 führte die Studiengruppe „Digitale Nabelschnur“ online eine Umfrage mit dem Titel „Handynutzung: Balanceakt zwischen Privatsphäre und sozialer Einbindung“ unter Studentinnen durch. In dieser Umfrage wurden die Teilnehmerinnen nach ihren Erfahrungen und Nutzungsweisen bei mobiler Kommunikation befragt. Ein Teil der Umfrage beschäftigte sich mit der Frage, inwiefern die Befragten ihr Umfeld während Handygesprächen wahrnehmen. Von diesem Teil wurden die Fragen des Umfragebogens abgeleitet, der für diese Bachelorarbeit entwickelt wurde.

Im Rahmen dieser Bachelorarbeit können freilich nicht alle Ergebnisse aus der Umfrage unter Schülerinnen mit denen aus der erheblich größeren Umfrage unter Studentinnen verglichen werden. Einige prägnante Unterschiede und Ähnlichkeiten sollen im Folgenden jedoch dargestellt werden.[9]

 

Die Verbreitung des Mobiltelefons bei Studentinnen ist noch einmal höher, als bei Heranwachsenden (Tabelle 1). Hatten noch 6.49% der Heranwachsenden angegeben kein Handy zu besitzen, verfügten alle befragten Studentinnen über ein mobiles Endgerät.

 

GML 1

Ja

Nein

Heranwachsende

72
(93.51%)

5
(6.49%)

Studentinnen

78
(100%)

0
(0%)

Tabelle 1

 

Dieser Unterschied erklärt sich einerseits durch die Tatsache, dass der Erwerb eines Handys noch immer relativ spät erfolgt, wie auch in Abbildung 2 ersichtlich. Teilweise haben die Heranwachsenden das Mobiltelefon erst vor kurzem erhalten. Anderseits haben an der Online-Umfrage unter Studentinnen offensichtlich nur Teilnehmer Interesse gezeigt, die bereits über ein Handy verfügen, da der Bezug zum Mobiltelefon schon mit der Einladung zur Teilnahme auf der ersten Seite der Umfrage ersichtlich war.

 

GML 3

Extrem

wichtig

Sehr

wichtig

Bedingt

wichtig

Überhaupt

nicht wichtig

Heranwachsende

14

(19.44%)

31

(43.06%)

23

(31.94%)

4

(5.56%)

Studentinnen

12

(15.38%)

 

40

(51.28%)

25

(32.05%)

1

(1.28%)

Tabelle 2

 

Nur marginale Unterschiede finden sich in der Bedeutung des Handys im Alltag: Nur eine einzelne befragte Studentin gab an, dass das eigene Handy keinerlei Rolle im Alltag spiele. Bei den Heranwachsenden waren es noch 4 Teilnehmerinnen (Tabelle 2).

Während das Handy im zunehmenden Alter im Alltag also immer weniger wegzudenken ist, nimmt die Anzahl der Befragten, die das Handy als extrem wichtig empfinden, aber ab.

Die oben definierte Hypothese 4 wird durch die Ergebnisse folglich bestätigt. Die Bedeutung des Mobiltelefons „normalisiert“ sich bei Studentinnen dann auf die gemäßigten Antwortmöglichkeiten. Offensichtlich fällt der Bezug zum eigenen Gerät als Übergangsobjekt nach Tully (Tully & Zerle, 2006, S. 18) ab einem gewissen Alter weg – das Gerät ist dann zwar immer noch wichtig, um den eigenen Alltag zu bewältigen, aber kein zentraler Lebensinhalt mehr.

 

Bei der Befragung der Teilnehmerinnen nach der Wahrnehmung der Personen um sie herum während Handygesprächen zeigte sich deutlich, dass Studentinnen ein höheres Bewusstsein für Personen um sie herum haben. Überraschende 11.11% der Heranwachsenden gaben an, dass sie nie auf umstehende Personen achten, während die Zahl bei den Studentinnen 0% betrug (Tabelle 3). Somit kann Hypothese 3 bestätigt werden: In der Tat sind sich Studentinnen der eigenen Privatsphäre während mobiler Kommunikation – der eigenen Einschätzung nach – stärker bewusst als Heranwachsende. Studentinnen sind betreffend dem Schutz der eigenen Privatsphäre also offensichtlich sensibilisiert, während diese Sensibilisierung bei Heranwachsenden noch aussteht.

 

GML 6

Immer

Oft

Manchmal

Ab und zu

Nie

Heranwachsende

13

(18.06%)

13

(18.06%)

17

(23.61%)

21

(29.16%)

8

(11.11%)

Studentinnen

4

(5.13%)

26

(33.33%)

37

(47.44%)

11

(14.10%)

0

(0%)

Tabelle 3

 

GMB 18

Ja

Nein

Heranwachsende

55
(71.43%)

22
(28.57%)

Studentinnen

62
(79.49%)

16
(20.51%)

Tabelle 4

 

Diese Tendenz zeigte sich auch bei der Frage, ob es Themen gibt, welche die Teilnehmer nur ungern am Handy besprechen möchten (Tabelle 4). Eine größere Anzahl an befragten Studentinnen vermeidet bestimmte Themen am Handy als Heranwachsende. Der Unterschied beträgt rein rechnerisch nur 8.06%, ist jedoch ein signifikantes Zeichen für eine Entwicklung, welche die Heranwachsenden durchgehen.

 

 

 

 


5. Diskussion

Die Ergebnisse belegen, dass sich bei den Heranwachsenden bereits deutlich die Entwicklungsprozesse der formal-operativen Stufe erkennen lassen (Ginsburg & Opper, 2004, S. 233f.). Dennoch zeigt sich auch, dass diese Entwicklungsprozesse noch nicht vollständig abgeschlossen sind: Entsprechend dem Entwicklungsmodell Piagets sind die Schülerinnen im Alter von zehn bis zwölf Jahren zwar in der Lage, sich sowohl praktisch als auch theoretisch mit der eigenen Privatsphäre zu befassen, die nötige Priorisierung des Schutzes der eigenen Privatsphäre erfolgt allerdings noch nicht vollständig, da die weiterreichenden Konsequenzen scheinbar noch nicht mitbedacht werden. Bei Studentinnen, die diese Entwicklungsprozesse bereits abgeschlossen haben, besteht jedoch ein intensiveres Bewusstsein bezüglich der eigenen Privatsphäre während Mobiltelefonaten und damit auch ein gesteigertes Bedürfnis, bestimmte Themen und Inhalte am Mobiltelefon zu vermeiden.

 

Bei dem Vergleich der Daten zwischen Heranwachsenden und Studentinnen ist natürlich zu berücksichtigen, dass die Verbreitung des Handys gerade in den letzten Jahren erst stark zugenommen hat und viele der befragten Studentinnen vermutlich im Kindesalter noch über kein Handy verfügten. Hinzu kommt, dass nur männliche Heranwachsende befragt wurden, während sich unter den Studentinnen sowohl männliche als auch weibliche Teilnehmer befanden. Es bleibt also eine Aufgabe der zukünftigen Forschung erneut nach Entwicklungstendenzen in der Handynutzung zu fragen und mögliche Unterschiede zwischen den Gendern zu untersuchen.

 

Ein für zukünftige Forschung interessanter Ansatzpunkt ist mit Sicherheit die von Tully und Zerle (2006, S. 18) aufstellte These des Übergangsobjektes, die durch die Ergebnisse dieser Forschungsarbeit noch einmal bestärkt wird. Die Heranwachsenden sind nach Schilderungen der Lehrkräfte mit einer überdurchschnittlichen Motivation an die Beantwortung der Umfragebögen herangetreten und haben sich erfreut gezeigt, dass sie nach ihrem Telefonierverhalten und Mobiltelefon gefragt wurden. Diese Motivation spiegelte sich schlussendlich in den zahlreichen schriftlichen Anmerkungen auf den Umfragebögen wider. Es ist den Heranwachsenden offensichtlich wichtig Marke und Modell des eigenen Geräts mitzuteilen. Ein Blick in die aktuelle Konsumlandschaft zeigt, dass dieses Markenbewusstsein inzwischen auch bei Erwachsenen stark ausgeprägt ist. Die weitere Forschung hätte hier die Möglichkeit markenpsychologische Untersuchungen anzustellen und nach den Gründen für diese starke Bindung an ein elektronisches Gerät zu suchen.

 

Für Lehrerinnen und Erzieherinnen bieten die gewonnen Erkenntnisse einen Mehrwert in Bezug auf den Umgang mit den Schülerinnen. Unterrichtsstörungen durch mobile Geräte sind in Schulen inzwischen verbreitet und behindern den Unterrichtsablauf oftmals. Anhand der Ergebnisse aus den Umfragen ist den Lehrkräften anzuraten, verständnisvoll auf diesen Kommunikationsbedarf der Schülerinnen einzugehen und eine demokratische und möglichst auf gemeinsam erarbeiteten Regeln basierende Lösung zu finden. Den Schülerinnen das Handy zu entziehen ist gerade bei der nachgewiesenen emotionalen Bindung an das mobile Gerät eine harte Strafmaßnahme.

 

Die pädagogische Forschung muss hier weitere Handlungsmöglichkeiten finden und den Stellenwert des Handys für Schülerinnen auch positiv in Betracht ziehen. Neben den genannten Nachteilen, die bereits ausführlich in der Forschung betrachtet wurden, bietet die mobile Kommunikation auch positive Effekte für die Pädagogik – bedingt durch die breite Verfügbarkeit, beschleunigte Kommunikation und Begeisterung der Schülerinnen für das Thema Handy. Diese Sichtweise hat sich in der Forschungswelt bislang eher marginal durchgesetzt – eine bislang verschenkte Chance.


6. Literatur

-          Behrens, P. & Rathgeb, T. (2012): JIM 2012. Jugend, Information,
(Multi-)Media. Basisstudie zum Medienumgang 12- bis 19-Jähriger in Deutschland. Stuttgart: Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest.

-          Berk, L. E. (2011): Entwicklungspsychologie. München: Pearson Studium.

-          Garz, D. (2008): Sozialpsychologische Entwicklungstheorien. Von Mead, Piaget und Kohlberg bis zur Gegenwart. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften.

-          Ginsburg, H. & Opper, S. (2004): Piagets Theorie der geistigen Entwicklung. Übersetzt von Kober H. & Hanenberg G. aus dem amerikanischen Englisch. Stuttgart: Klett-Cotta.

-          Tully, C. J. & Zerle, C. (2006): Handys und jugendliche Alltagswelt. In: G. Anfang, K. Demmler, J. Ertelt & U. Schmidt (Hrsg.), Handy – Eine Herausforderung für die Pädagogik (S. 16-21). München: kopaed.

-          Schell, F. (2006): Gewaltvideos auf dem Handy – Motive und Problemlagen im Zusammenhang mit der Nutzung gewalthaltiger und pornografischer Inhalte. In: G. Anfang, K. Demmler, J. Ertelt & U. Schmidt (Hrsg.), Handy – Eine Herausforderung für die Pädagogik (S. 36-44). München: kopaed.

 

 



Anhang


Anhang A: Reporting / Daten aus der Studentinnen-Umfrage

 

Besitzen Sie ein Handy?

 

Gesamt

GML 1

Ja

78

Nein

0

Basis

78

 

 

 

 

 

 

Wie wichtig ist Ihnen Ihr Handy im Alltag?

 

Gesamt

GML 3

Extrem wichtig

12

Sehr wichtig

40

Bedingt wichtig

25

Überhaupt nicht wichtig

1

Basis

78

 

 

 

 

 

 

Wie oft nehmen Sie die Menschen um sich herum wahr, wenn Sie am Handy telefonieren?

 

Gesamt

GML 6

Nie

0

Selten

11

Manchmal

37

Oft

26

Immer

4

Basis

78

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Wie oft achten Sie auf die Reaktionen der Umstehenden wenn Sie einen Anruf entgegennehmen?

 

Gesamt

GMB 15

Nie

5

Selten

23

Manchmal

31

Oft

14

Immer

5

Basis

78

 

 

 

 

 

 

Während eines Handygesprächs sind Sie...

 

Gesamt

GMB 16

Extrem empfindlich für die Anwesenheit anderer Personen um Sie herum.

2

Sehr empfindlich für die Anwesenheit anderer Personen um Sie herum.

17

Etwas empfindlich für die Anwesenheit anderer Personen um Sie herum.

41

Nicht besonders empfindlich für die Anwesenheit anderer Personen um Sie herum.

17

Überhaupt nicht empfindlich für die Anwesenheit anderer Personen um Sie herum.

1

Basis

78

 

 

 

 

 

 

Gibt es Themen, die Sie beim Telefonieren mit dem Handy lieber vermeiden?

 

Gesamt

GMB 18

Ja

62

Nein

16

Basis

78

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Welche Themen versuchen Sie zu vermeiden?

 

Gesamt

Noten

3

Sex (sexuelle Aktivität, sexuelle Beziehungen, usw.)

37

Geld

35

Gesundheitlicher Zustand

15

Familie

12

Andere:

21

Basis

63

 

 

 

 

 

 

Wenn man telefoniert, braucht man manchmal Privatsphäre.

 

Gesamt

Sie gehen an einen Ort, an dem Sie sich ungestörter fühlen

Nie

1

Selten

2

Manchmal

11

Oft

49

Immer

15

Basis

78

Sie drehen den anderen in Ihrer Gruppe den Rücken zu

Nie

9

Selten

14

Manchmal

30

Oft

22

Immer

3

Basis

78

Sie senken die Stimme

Nie

7

Selten

12

Manchmal

33

Oft

20

Immer

6

Basis

78

Sie sagen dem Anrufer, dass sie später zurückrufen

Nie

1

Selten

4

Manchmal

41

Oft

31

Immer

1

Basis

78

Sie versuchen, Ihren Mund und/ oder Ihr Handy zu verdecken

Nie

57

Selten

14

Manchmal

4

Oft

2

Immer

1

Basis

78

Sie signalisieren, dass das Gespräch in wenigen Minuten vorüber ist

Nie

17

Selten

29

Manchmal

22

Oft

10

Immer

0

Basis

78

Sie weisen den Anruf ab und schreiben der Person per SMS

Nie

14

Selten

27

Manchmal

25

Oft

12

Immer

0

Basis

78

 

 

 

 

Ich bin...

 

Gesamt

D2

männlich

39

weiblich

39

Basis

78

 

 

 

 


Anhang B: Schülerinnen-Fragebogen

http://pdfjpg.de/sites/default/files/6283558-0.jpg

Vorderseite
http://pdfjpg.de/sites/default/files/6283558-1.jpg

Rückseite


Anhang C: Anschreiben Schulleitung

http://pdfjpg.de/sites/default/files/6283605-0.jpg


Anhang D: Anschreiben Lehrerinnen

http://pdfjpg.de/sites/default/files/6283603-0.jpg


Anhang E: Anschreiben Eltern

http://pdfjpg.de/sites/default/files/6283600-0.jpg

 



[1] Obwohl aus Gründen der Lesbarkeit nur die weibliche Form in dieser Arbeit verwendet wird, beziehen sich die Angaben auf beide Geschlechter, wenn nicht anderweitig notiert.

[2] Als „Jugendliche“ wird hier die Altersgruppe 12-19 Jahre betrachtet. Die Altersgruppe 10-12 Jahren, die im folgenden Verlauf näher betrachtet werden sollen, sollen im Weiteren als „Heranwachsende“ bezeichnet werden.

[3] Entsprechende Handlungsweisen könnten beispielsweise das Wegdrehen von Umstehenden oder das Senken der Stimme sein.

[4] Es handelt sich hierbei um das Bischöfliche Willigis Gymnasium in Mainz, deren Schulleitung, Elternvertretung, Lehrerinnen und Schülerinnen ich an dieser Stelle ausdrücklich für die Unterstützung danken möchte.

[5] Der Fragebogen befindet sich zusätzlich im Originalformat im Anhang dieser Bachelorarbeit.

[6] Die ursprünglichen Fragen mit originaler Formulierung befinden sich ebenfalls im Anhang dieser Bachelorarbeit.

[7] Einleitender Text des Fragebogens, Vorderseite (Anhang B).

[8] Der Fragebogen wurde online von der Studiengruppe „Digitale Nabelschnur“ vom 16.05.2013 bis 31.08.2013 unter der Adresse http://ww2.unipark.de/uc/Digitale_Nabelschnur/48ec/ durchgeführt.

[9] Die Ergebnisse des Fragebogens liegen dem Autor zum Zeitpunkt der Erstellung dieser Bachelorarbeit zwar vor, sind jedoch noch nicht komplett ausgewertet und veröffentlicht worden. Der Autor dieser Arbeit ist selbst Mitglied der Studiengruppe „Digitale Nabelschnur“ und hat daher Zugriff auf die Daten der Umfrage. Entsprechend befinden sich die relevanten Reportings aus der Umfrage nach Absprache mit der Studiengruppe ebenfalls im Anhang dieser Bachelorarbeit.